In Media Veritas
Nur ein Detail
26. Mai 2003
Paul McCartney soll das berühmteste Autorenduo Lennon/McCartney in McCartney/Lennon umgewandelt haben. Hat er. Nicht zum ersten Mal. Und überhaupt, soll man Tatsachen, sofern diese bekannt sind, nicht verbreiten, nur weil diese einer Legende widersprechen?

Ein historischer Händedruck
Nachdem John Lennon und Paul McCartney - oder war es umgekehrt - begannen, miteinander Songs zu schreiben, beschlossen sie, fortan die Autorenschaft mit Lennon/McCartney anzugeben. Sie besiegelten dies, so will es die Beatleslegende, mit einem Händedruck. Das war tief im letzten Jahrhundert, weit zurück im zweiten Millennium. Man schrieb wahrscheinlich das Jahr 1957. In der Tat schrieben sie in den folgenden Jahren einige Songs zusammen. Paul dichtete «She was just seventeen and not a beauty queen», worauf John einwarf, «you know what I mean.» Pauls Idee wurde verworfen, Johns Reim ergänzte die erste Textzeile von I Saw Her Standing There, welches 1962 zum Opener des ersten Beatles-Album Please Please Me wurde.

Doch schon bald schrieb jeder seine eingenen Songs. Es mag zwar sein, dass der Text noch nicht ganz fertig war, doch in der Regel gab der Autor auch den Rest vor. Der erste echte Song, welcher wieder der gestrengen Qualitätskontrolle des Labels Lennon/McCartney entspricht, ist We Can Work It Out von 1965. Die Strophen und die eingängige Melodie stammen von McCartney: «Try to see my way...» Lennon hatte einen eigenen, unfertigen Song zusammen, der mit den Worten «Life is very short...» begann. Die Teile sind durch die Rhythmuswechsel hörbar, Pauls Teil ist im 4/4 Takt, Lennon hat im 3/4 Takt geschrieben. 1967, beim Erscheinen von Sgt. Pepper's freute sich John Lennon, dass er zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Paul Songs geschrieben hätte. In der Tat gehört das grossartige A Day In The Life zu den raren echten Lennon/McCartney Songs.

Lennon/McCartney ein Marketinggag
Dass die Bezeichnung Lennon/McCartney nichts mit der Realität zu tun hatte, ist heute genauso bekannt, wie der Ursprung davon in Vergessenheit geraten ist. 1957, als John Lennon und Paul McCartney ihre Abmachung getroffen hatten, waren sie Teenager. John war 17 jährig, Paul 15. Da Liverpool eine Hafenstadt mit einem amerikanischen Truppenstützpunkt in der Nachbarschaft war, kamen die Rock n'Roll begeisterten Jungs einfacher zu den amerikanischen Rock-Singles als anderswo. Und die Credits auf den Lables der Singles von Elvis, Chuck Berry und Co. waren oft Paare: Bacharach/Williams (Baby It's You), Collins/Pennimann (Lucille) oder Goffin King (Keep My Hands Of My Baby). Das bekannteste Autorenpaar der Rock n' Roll Ära sind bis heute Leiber/Stoller geblieben, deren Songs nicht nur von Elvis und den Beatles gesungen wurden: Stand By Me taucht alle 20 Jahre in einer Neuaufnahme in den Charts auf. Sogar Carl Perkins und Chuck Berry schrieben nicht alle Songs alleine.

Und wie fasst man als Nachwuchskünstler in der Szene Fuss? Man übernimmt die Usanzen. Co-Autorenschaft war also die Regel und nicht die Ausnahme. Was Lennon/McCarntey von Leiber/Stoller unterschied ist, dass die Liverpooler ihre Songs selber sangen. Man kann getrost behaupten, dass Lennon/McCartney für das Bandimage nützlich war. Dass sich diese Marke aber innert kürzester Zeit zum erstklassigsten Brand entwicklen würde, konnte man nicht ahnen. Sowohl Lennon wie auch McCartney getrauten sich nicht, diesen Brand zu änderen oder gar als Soloautor in Erscheinung zu treten. Die grössten Chancen haben beim Get-Back Album im Frühjahr 1969 bestanden, eine Zeit in der die Beatles heilos untereinander zerstritten waren. Das Album wurde verschoben und erst 1970 unter dem Titel Let It Be veröffentlicht, die Co-Autorenschaft wurde beibehalten, nicht zuletzt, da es einen Monat nach der offiziellen Trennung der Band erschien.

Ironie der Geschichte ist, dass McCartney genauso an Give Peace A Chance beteiligt war wie Lennon an Yesterday: nämlich überhaupt nicht. In der Post-Beatles-Anthology Zeit kommt auch niemand mehr auf die Idee, diese Songs beiden zuzuordnen. Dennoch ist es seit Monaten ein medialer Dauerbrenner, dass Paul McCartney die Credits auf seinen Livealben Back In The USA bzw. Back In The World in McCartney/Lennon gewechselt hat. Die Spalten in den Feuilletons werden gefüllt. In den meisten Fällen bezieht McCartney Prügel für seine Frechheit. Das Musikmagazin Rolling Stone hatte aber richtig bemerkt, dass McCartney bereits anno 1976 bei der Veröffentlichung der Liveaufnahmen Wings Over America die Credits vertauscht hatte. Und damals störte sich niemand daran. Schon gar nicht John Lennon. Und so nahm auch Yoko Ono Pauls Tat mit einem Schulterzucken hin. McCartney betrieb die Geschichtsklitterung an Songs wie Hey Jude, Let It Be, oder Michelle, die allesamt seit ihrer Veröffentlichung dem soften Paul und nicht dem harten John angerechnet wurden.

An der Legende kratzen
Wenn schon Lennon/McCartney ein Marketinggag war, dann war McCartney/Lennon erst recht einer. Dass Sir Paul ein geschickter Verkäufer ist, weiss man. Ein Versehen kann ausgeschlossen werden. Schliesslich erschien Back In The USA im November in den USA und Back In The World im März, zum Beginn der gleichnamigen Tournee. Und die Credits waren auf beiden Alben die selben - wie auch die Plattenfirma, in beiden Fällen war es Capitol. Viel wurde über McCartneys Motiv gerätselt. Jean-Martin Büttner vermutete im Tages Anzeiger, dass McCartney immer noch unter einem John-Lennon-Komplex leide. Eine Annahme, die sich noch mit dem Argument des Egoisums kombinieren lässt. Vielleicht aber dachte McCartney auch, dass die Zeit reif sei, an der Legende zu kratzen und die Namen zu vertauschen. Was spricht dagegen, eine Legende durch die Wahrheit zu ergänzen? Vielleicht aber war es auch nur ein Marketingtrick, um das Livealbum zu pushen, schliesslich hatte er auch die Bealtes verlassen, um sein erstes Soloalbum zu promoten.

Trifft letzteres zu, so ist Pauls Kalkül aufgegangen, die halbe Welt spricht über die vertauschten Namen, so als ob Coca Cola es gewagt hätte sich in Cola Coca umzutaufen. Die mediale Schonfrist McCartney gegenüber, die er nach dem Tod seiner Frau Linda erhalten hatte, ist offensichtich abgelaufen. Die Kommentare sind wieder so hämisch wie zuvor. Trifft aber die Vermutung zu, dass McCartney nur etwas an der Legende kratzen wollte, so kann man die Medienberichterstattung mit dem selben Argument abtun.

Lennon/McCarntey ein Brand wie Adidas?
In den letzten Jahren hat die Serie Unglücksfälle und Verbrechen in Bezug auf Markennamen Hochkonjunktur: Centerpulse Novartis, Xsatra, Antalis, Atraxis oder Unique Airport wurden aus der Taufe gehoben. Es verschwanden bewährte Brands wie Ciba, Sulzer Medica oder Bührle. Der Brand ist das Kapital eines Unternehmens, das nicht wie Börsenkurse einstürzen kann. Der Name Coca Cola ist weit mehr wert als die Aktie. Und selbst nach dem Abbleben einer Firma bleibt ein Name bestehen und erschweren der Nachfolgefirma das Leben, wie das Beispiel Swissair/Swiss zeigt. Aber ist dann eine Autorenschaft, die zumal in den meisten Fällen nicht einmal stimmt, ein Brand wie Coca Cola? Die Antwort lautet Jein.

Sie heisst ja, weil jedermann weiss, dass es Lennon/McCartney heisst. Das war während vier Jahrzehnten ein Erfolgslabel. Doch die Musikszene hat sich gewandelt, die Rollling Stones sind Artefakte einer längst vergangenen Zeit, selbst ihre Altersgenossen erkennen sie nicht wieder, und die Beatles wurden bei der Lancierung der Anthology Serie anno 1995/96 als the twentiest century greatest romance bezeichnet. Eine Untertreibung. Längst sind die Beatles mit Mozart auf einer Stufe und werden mit Shakespeare, Dante oder Leonardo als absolute Titanen im Götterhimmel der kulturellen Genies des zweiten Millenniums gehandelt. Man kann die oben gestellte Frage auch mit nein beantworten. Eine Autorenschaft ist keine Marke, schliesslich werden die wenigsten Autoren bekannt. Oder weiss heute noch jemand, wer das Guggisberglied oder das Nibelungenlied verfasst hat?

Abschliessend lässt sich nur festhalten, dass ein Autor im Rahmen der Autorenrechte mit seinem Werk machen kann, was er will. Und das schliesst mit ein, dass er die Credits vertauscht. Man mag Paul McCartney verstehen, dass er über drei Jahrzehnte nach der Beatlestrennung die Berichtigung vorgenommen hat. Wieviele Beatlesfans wollen wissen, wer denn nun wirklich den Song geschrieben hat. Die Aufregung ist eine künstliche, etwas, womit die Medien von SARS und Irak ablenken wollten. Denn McCartney hat ja nicht John Lennon aus den Credits gestrichen.Unvorstellbar, wie es aus dem Blätterwald gerauscht hätte, wenn er es getan hätte.

Der Stein des Anstosses: Paul McCartney's Back In The USA und Back In The World Alben.

Noch lange nicht in Rücklage, Paul McCartney kratzt nur etwas an der Legende. Bild: paulmccartney.com  

 

 

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... und in Kürze in Musicus:
• Let It Be Naked, alles über die Urfassung des Let It Be Albums von den Beatles, welches am 7. Novembernach 34 Jahren veröffentlicht wird.