In Media Veritas
Vom Sinn und Unsinn der Grammys
3. März 2006
Nicht nur bei den Art Directors Club Auszeichnungen, den so genannten Würfeln, ist es so, dass es in den Jurys mehr menschelt, denn auf die Qualität der ausgezeichneten Werke ankommt. Auch bei den Grammys. Paul McCartneys missfallen über die Grammys 2006 sind mehr als nur verständlich.  

Regelmässige Leser dieser Webseite wissen es, der Autor mag U2 und Paul McCartney. Erstere waren für ihr How To Dismantle An Atomic Bomb Album in fünf Kategorien nominiert, Macca trat mit Chaos & Creation In The Backyard in vier Kategorien an. Beim Song des Jahres sowie beim Album des Jahres waren McBono direkte Konkurrenten.

Wie sieht die Jurierung bei den ADC-Würfeln aus? Eine Werbeangentur gibt ihre Kampagnen ein. Eine Jury befindet darüber. Die für gut befundenen Arbeiten kommen eine Runde weiter, die anderen werden unter den Tisch geworfen. So weit so gut, doch dann menschelt es: Mag der Art Director von Agentur A den Verantwortlichen für die Kampagne B nicht, fällt die Arbeit unter Tisch, ganz unbesehen der sonst so objektiven Bewertungskriterien.

Ohne Auszeichnung zu sein ist wertvoller
Es ist hinlänglich bekannt, wie die Academy die Oscars vergibt, Erfolg des Films, Beliebheit einer Schauspielerin oder schlechtes Gewissen der Jury einem Regisseur gegenüber sind oft wichtige Kriterien. Nur so lässt es sich erklären, dass gewisse Filme ein paar Oscars zu viel erhalten. Manchmal ist es die grössere Ehre, nicht ausgezeichnet zu werden – wie beim Literaturnobelpreis, den weder Max Frisch noch Fritze Dürrenmatt erhalten haben.

Auch bei den Grammys wird ähnlich juriert, so erhielt Eric Clapton für Unplugged 8 Grammys, ein Jahr zuvor war sein Sohn tödlich verunfallt. 1999 erhielt Carlos Santana für Supernatural 9 Grammys. Zuvor war er noch selten mit der höchsten Auszeichnung der Musikwelt ausgezeichnet worden. Der Umgekehrte Fall macht auch keinen Spass, Norah Jones wird ein Leben lang keinen Grammy mehr gewinnen, da ihr Debutalbum gleich 9 der Grammophon-Statuen abräumte.

Gewiss, Paul McCartney hat längst jeden Preis gewonnen, den es zu gewinnen gibt. Auch hat er genügend Grammys. Und wie er letzten Herbst im RollingStone-Interview sagte, betrachte er sich nicht mehr im Wettbewerb mit John Lennon, Franz Ferdinand oder gar den Stones, Wettbewerbe hatte er genug gemacht. Seit seinem 1997er-Album Flaming Pie klingt die Musik auch so, wie wenn Sir Paul der Welt nichts mehr beweisen muss. Seither sind seine Alben allesamt wieder von der herrlichen Frische der Beatles- und frühen Solowerke.


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Ein Grammy, die populärste Auszeichnung der Musikbranche

Eitel Freude vor der Verleihung. Bono und Paul McCartney bei den Proben für die Grammyshow, bei welcher Macca Fine Line, Helter Skelter und Yesterday im Duett mit Jay Z und Linkin Park sang.

Wer zum Geier ist der Blödmann,d er hinter Macca in die Kamera starrt?

2004 ist nicht 2006
In seiner Weihnachts-E-Mail bedankte sich Macca auch bei allen, die mitgeholfen haben, dass Chaos & Creation ein derartiger Erfolg wurde. (Das freut auch den Autoren, der das Album im RockStar Magazine und dem St. Galler Tagblatt besprochen hatte). Fine Line war als Song des Jahres nominiert, Chaos & Creation als bestes Pop Album, Macca selbst als bester männlicher Popsänger und Produzent Nigel Goodrich als Producer des Jahres. Gwen Stefani mit ihrem 2004 erschienenen Album Love Angel Music Baby gewann die Auszeichnung Album des Jahres nicht. McCartney auch nicht, dafür U2 mit ihrer Atombombe. Doch das U2 Album ist im November 2004 erschienen und hat schon bei den Grammys 2005 Auszeichnungen geholt.

Mit Verlaub: Was haben Platten aus dem vorvergangenen Jahr zu suchen, wenn eigentlich das letzte Jahr bewertet wird? Weder U2 noch Gwen Stefani hätten überhaupt nominiert werden dürfen in der Kategorie des Album des Jahres. 2004 ist nicht 2005 oder 2006! Dass Maccas Fine Line U2 City Of The Blinding Lights als Song des Jahres unterlag, ist auch nicht erklärbar, aber akzeptierbar, beide Singles wurden im Sommer 05 veröffentlicht, beides sind relativ schwache Songs. Neben U2 und McCarteny fanden sich unter den nominierten auch Eric Clapton und die Rolling Stones. Wären nun bloss junge Bands wie Franz Ferdinand ausgezeichnet worden, wäre dies zwar auch nicht so toll gewesen, aber nachvollziehbar.

McCartney ist enttäuscht über den Ausgang der Grammyjurierung. Verständlich. Und leider wurde mit dieser hanebüchenen Auszeichnungsmethode bereits wieder ein Präjudiz für kommende Jahre gelegt. McCartneys Frust wird auch den Juroren zu Ohren gekommen sein. Gut möglich, dass Macca mit einem nächsten Album, das dann vielleicht wieder einen Tick weniger raffiniert ist als Chaos & Creation ist, mit Wiedergutmachungs-Grammys überhäuft wird. Wobei man bei McCartney ja Gefahr läuft, dass sein nächstes Album nochmals ein Sgt. Pepper werden könnte, und dann wären die Auszeichnungen ja wieder verdient. Und doch – solch undurchsichtigen Juryentscheiden macht die Sache weder lustig noch bedeutungsvoll. Und so werden Anfang März die schwulen Cowboys aus Brokeback Mountains wohl mit ein paar Oscars zu viel ausgezeichnet, während Sofie Scholl – die letzten Tage möglicherweise trotz Favoritenrolle nicht mal den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten wird.
 
   

Das Dossier über Paul McCartney enthält folgende Beiträge:

Von Steinen und Käfern (2005, Stones vs Beatles aus der Sicht des Nachgeborenen)
Wenn Radiohead die Beatles trifft (2005, Chaos And Creation In The Backyard)

Sanft Remixed (2005, Twin Freaks)
Back In The USSR (2005, Paul McCartney In Red Square - A Concert Film)
Here Today (2004, Konzertbericht vom Konzert im Letzigrund Zürich vom 2. Juni)
Für alle Kinder dieser Welt (2004, The Music & Animation Collection)
Abgespeckt (2003, Beatles: Let It Be Naked)
Zurück aus der neuen Welt (2003, Back In The World bzw. USA CDs, DVD)
Nur ein kleines Detail (2003, zur Umstellung von Lennon/McCartney auf McCartney/Lennon)
Maccas Freiheit (2001, Driving Rain)
Liverpool Soundcollage (2000, Liverpool Soundcollage)

Die 90er-Jahre:
Lauf Teufel Lauf (1999, Run Devil Run und Working Classical)
The Firemen Rushes In (1998, Firemen: Rushes)
Die Welt heut Nacht (1997, Flaming Pie)
Nekrophile Sounds (1995, u.a. Beatles Anthology 1)
Thrillington's Trance Beat (1995: ReIssue Thrillington, 1993: Firemen: Strawberries Ocean Ship Forrest)
Flying Around (1993, Off The Ground)
Unplugged (1992, Unplugged The Official Bootleg vs Eric Claptons Unplugged)