Stück vom Himmel
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Sonntagnachmittag im Juli, suche mit den Kindern nach dem Zürifäscht etwas Abkühlung und spaziere dem Schanzengraben entlang. Jérôme nimmt dies allzuwörtlich und belässt es nicht nur mit dem Füssebaden im kühlen Nass, sondern steigt ins Wasser. Als er eine Forelle vorbeischwimmen sieht, versucht er diese mit blossen Händen zu fangen. Nun werden zuhause Vater und Sohn, in umgekehrter Reihenfolge natürlich, etwas zu hören bekommen… Die gute Stimmung ist durch eine väterliche Standpauke geknickt wie ein Schilfrohr am Zürichsee nach einem Hitzegewitter. Silvia weiss nicht, ob sie über das Missgeschick ihres Bruders lachen, sich nach meinem Wutausbruch möglichst klein machen oder sich mit Jérôme gegen ihren alten Herrn solidarisieren soll. Und so biegen wir mehr oder weniger betreten schweigend beim Hochhaus zur Palme in die Pelikanstrasse ein. Am Strassenrand steht ein Warndreieck mit der Aufschrift Dacharbeiten.
«Was steht da?», möchte Silvia wissen.
Ich sage es ihr.
Sie fragt: «Wieso ist steht dieses Dreieck hier?»
«Damit die Passanten gewarnt sind, falls ein Ziegel vom Dach runterfällt», antworte ich.
«Heute ist Sonntag, da arbeitet niemand. Zudem ist das ein Flachdachhaus», müffelt Jérôme, hörbar verstimmt. Von kindlicher Logik überlistet, verdrehe ich die Augen. Ich sehe den blauen Himmel mit ein paar Schönwetterwolken – die himmlische Entsprechung des Zürcher Wappens.
«Sonntags arbeitet auch niemand auf dem Hochhausdach», erwidere ich. «Unser aller Dach ist der Himmel. Und der kann nur sonntags geflickt werden. Damit es heute Abend nicht regnet und wir im Garten mit Meienbergers grillieren können, reparieren nun Engel den Himmel.» Glücklicherweise scheinen die Kinder ob der Vorfreude auf die bevorstehende Grillade und das Herumtollen mit den Nachbarskindern vergessen zu haben, dass es letztes Wochenende am Stück durchgeregnet hat. «Aber vom Himmel fallen keine Ziegel», druckst Jérôme nicht restlos überzeugt herum.
«Sicher nicht, du Esel, da fällt ein Stück Himmel hinab!», entgegnet Silvia.
Wenn Blicke töten könnten, so hätte nun mein Sohn seine kleine Schwester umgebracht, weshalb ich ihr argumentativ zu Hilfe eile und anfüge: «Und Leuten, denen ein Stück Himmel auf den Kopf fällt, die werden ihr Leben lang glücklich sein.»
«Dann warte ich hier!», entgegnet Jérôme entschlossen und setzt sich neben das Warndreieck.

 

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Stück vom Himmel – 2016  


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