Kronplatz
26. Mai 2008


Eigentlich ist es unmenschlich, was die Fahrer heute leisten mussten: das Bergzeitfahren führte von San Vigillio di Marebbe ins Skigebiet des Kronplatzes in den Dolomiten. Die letzten rund fünf Kilometer der Strecke verläuft über eine – sorgfältig planierte – Schotterpiste zur Seilbahnstation auf 2’273 m ü. M. hoch. Da es in den Vortagen geregnet hatte, wurde die Piste im Lauf des Rennens weich und es entstanden Spurrinnen. An den steilsten Stellen beträgt die Steigung 24 Prozent. Das Zeitfahren zum Kronplatz hoch war eine Premiere. Bereits vor zwei Jahren hätte eine Bergetappe beim Kronplatz enden sollen. Allerdings herrschte damals schlechtes Wetter und es lag Schnee auf der Strasse, so dass die damalige Etappe gekürzt wurde und bereits beim Fockelsattel beendet wurde.

Wegen der engen Strasse und des heiklen Untergrundes waren keine vierrädrigen Begleitfahrzeuge zugelassen. Zuvorderst fuhr ein Carabinieri, der dem Rennfahrer den Weg durch die begeisterten Tifosi bahnte. Hinter ihm ein weiteres Motorrad, auf dessen Sozius der Betreuer des Fahrers – Wer schon auf einem Töff mitgefahren ist, kann sich vorstellen, wie unangenehm es für die Betreuer gewesen sein musste, da sie ein komplettes Ersatzvelo geschultert hatten. Ein bemerkenswertes Bild. Nimmt man nun die Siegerzeit von Franco Pellizotti von 40’ 26” sowie die Karenzzeit der Etappe, bis zu der ein Fahrer das Ziel erreicht haben muss, die heuer bei 51 Minuten bzw. +25 Prozent der Siegerzeit liegt, kann man sich unschwer ausmalen, wie lange die durchschnittliche Fahrt hoch gedauert hat. Es ist anzunehmen, dass die einzelnen Betreuer die Strecke zwei oder drei Mal mit geschultertem Velo hochgefahren wurden. Wenn nun also die Bedingungen für den einzelnen Fahrer hart gewesen sind, wie waren sie erst für die Betreuer?

Als Schweizer ist man sich gewohnt, dass auf den Berggipgeln ein Gipfelkreuz montiert ist, wenn es nicht durch eine Seilbahnstation oder eine Skiliftwendeschlaufe ersetzt worden war. Wie bei so mancher Skistation befindet sich auf dem Gipfel des Kronplatzes zuerst einmal die Bergstation mit Restaurant. Der Skipionier Erich Kastlunger aus St. Vigil, der an die 150 Skirennen gewonnen haben soll und massgeblich an der touristischen Erschliessung des Kronplatzes mitgewirkt hatte, kam anlässlich der Jahrtausendwende auf die Idee, anstelle eines Gipfelkreuzes auf dem Gipfelplateau eine grosse Glocke aufstellen zu lassen. Im Sommer 2003 war es dann soweit: diese Glocke erhielt den Namen Concordia 2000 und wurde in der Spitze des Aussichtsturmes montiert. Als eine der grössten Glocken Europas ist sie ist ein Mahnmal für Frieden und Eintracht und läutet die drei Mal pro Woche. Darüber hinaus jedesmal, wenn irgendwo in der Welt ein Todesurteil aufgehoben oder in eine lebenslängliche Gefängnisstrafe umgewandelt wird, aber auch wenn ein Krieg endet, lässt Concordia 2000 ihren Klang über Berg und Tal erschallen. –

Obwohl sie auf einem Berggipfel steht, wird diese Glocke kaum je von vielen Menschen gehört; genau so wie die Ereignisse, zu deren Gedenken sie läutet, kaum ihren Weg in die Nachrichten der Weltmedien finden.




 

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