Sprachebtrachtung: Frankreich – Italien
5. Juni 2008


Schon seit der Auslosung im November herrscht Vorfreude auf dieses Spiel: Frankreich – Italien, die Neuflage des WM Finales von 2006, das Nachspiel zu einer Partie, die damals dramatisch in der 118. Minute geendet hatte und die Italien schliesslich im Penaltyschiessen für sich entscheiden konnte. Gelingt den Franzosen im Zürcher Letzigrund die Revanche? Das eigentliche Nachspiel zum Finale hatte bereits im Sommer 06 in Zürich stattgefunden. Es war ein regnerischer Sommertag, als Zinedine Zidane und Marco Materazzi vor dem Hauptsitz der Fifa vorgefahren wurden, um zum persönlichen Nachspiel anzutreten. Es war in der 118. Minute des WM Finales gewesen, als Zidane, bis dahin einer der fairsten Fussballer, Materazzi mit einem Kopfstoss in die Brust niederstreckte und dafür vom Platz gestellt wurde. Den ganzen Match über hatte Materazzi Zidane beleidigt gehabt; was er genau gesagt hatte, dass Zizou, wie er liebvoll von den Franzosen genannt wurde, ausrastete, ist bis heute nicht bekannt. Es war der traurige Abgang einer Karriere mit Höhen wie dem Weltmeistertitel 1998 und Tiefen wie dem torlosen Ausscheiden an der WM 2002. «Den Zidane machen» wurde in Frankreich in der Folge des verlorenen Finales zum geflügelten Wort. Zwei Jahre später ist Marco Materazzi zwar im EM-Kader der Italiener, aber er gehört nicht zu der Stammelf. Zidane ist bereits nach der WM zurückgetreten.

Frankreich – Italien, das ist mehr als nur das Aufeinandertreffen zwei der beliebtesten Feriendestiationen der Schweizer. Da stehen auf der einen Seite les bleus, auf der anderen gli azurri. Da die Franzosen in diesem Spiel als Heimmannschaft gelten, spielen sie im blauen Dress. Die Italiener treten im weissen Auswärtsdress an. Blau spielt gegen Weiss, in einer Stadt, deren Wappen blauweiss ist, blau wie der Zürichsee, weiss wie die Schönwetterwolken am Himmel. Frankreich – Italien, das ist das Duell der Nationalhymnen: die Marseillaise gegen den Canto degli Italiani. Beide Hymnen sind Ohrwürmer, die Marseillaise kennt jedes Kind, nicht zuletzt weil sie «All You Need Is Love» von den Beatles eröffnet, den Canto degli Italiani erkennt zumindest jedes Kind, wenn er als Handyklingelton ruft oder von einem Italiener in blauem Fussballleibchen in Altstetten auf der Strasse gepfiffen wird. Und beide Hymnen sind Revolutionslieder: Die Marseillaise wurde von Claude Joseph Rouget de Lisle in der Nacht zum 26. April 1792 anlässlich der Kriegserklärung an Oesterreich komponiert. Am 14. Juli 1795 wurde sie zum ersten Mal als Nationalhymne gespielt. Fratelli d’Italia, der Canto degli Italiani wurde von Goffredi Mamelli verfasst, von Michele Novaro vertont und im Herbst 1847 von patriotischen Studenten gesungen. Am 12. Oktober 1946 wurde der Canto degli Italiani zur Nationalhymne, erhielt diesen Status aber eigentlich erst 2005 durch ein Dekret des italienischen Staatspräsidenten.

Frankreich – Italien ist mehr als nur die Revanche für den WM-Final. Es wird ein kampfbetontes Spiel geben und dennoch wird es das sinnlichste Spiel des Turniers werden, mit all den klingenden Namen der Spieler, die unweigerlich ganz andere Assoziazionen als Fussball wecken: Da wäre Roberto Donadoni, der italienische Coach und bestgekleidete Trainer des Turniers, der wie ein römischer Halbgott aussieht oder Gianluca Zambrotta, dessen Name einem auf der Zunge schmilzt wie ein Gelato. Bei Simone Perrotta denkt man unweigerlich an den englischen parrot und sieht einen Papagei vor sich. Hört man Christian Panuccis Name, steigt einem der betörende Geruch warmen Brotes in einer Bäckerei in die Nase. Zu seinen frischen Panini kauft man am besten noch eine Flasche Mineralwasser, angeregt durch Alberto Aquilani, dem Mittelfeldspieler. Kulinarisch kann Frankreich mit Claude Makelele mithalten, dessen Namen an die Makrele erinnert. Musikalisch wird es mit Jean-Alain Boumsong und Jérémy Toulalan: Jean-Alain schrieb für Jérémy den «Boumsong», dessen Refrain ein rhytmisch fröhliches tou-la-lan tou-la-lan ist. Ein todsicher geglaubter Sommerhit an der Côte d’Azur und in San Remo.

William Gallas
Name erinnert an den Palas eines der grossen Loire-Schlösser, das in seiner wechselvollen Geschichte englische und französische Herren hatte. Eric Abidal, Lilian Thuram, Florent Malouda, Nicolas Anelka, Luca Toni und Daniele De Rossi könnten die Besitzer burgundischer oder toskanischer Weingüter sein. Marco Materazzi, mehr durch seinen Zweikampf mit Zidane denn als Fussballspieler in Erinnerung, und Willy Sagnol, stehen für das kämpferische des Fussballs. Materazzi klingt schon fast wie die Matraze, auf der man die Verletzten des Turniers bettet. Und Willy Sagnol erinnert an zwei rote Flüssigkeiten: das Blut, il sangue oder le sang bzw. an einen Sangria. Wie auch immer das Spiel ausgehen wird, da soll noch einer sagen, Fussball wäre bloss ein stupides Spiel, bei welchem 22 Männer einem Ball nachrennen. –






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