Sprachbetrachtung: das Abonnement der alten Dame
5. Januar 2009


Gründe um nach Ablauf der Abonnementsperiode sein Zeitschriftenabo nicht zu mehr zu erneuern gibt es viele. Der Inhalt sagt einem nicht mehr zu, man findet keine Zeit, die Zeitschrift zu lesen, man muss sparen oder zieht um. Die meisten künden ihr Abo ohne Angabe eines Grundes oder schreiben einen kurzen Vermerk, dass sie es nicht mehr erneuern werden. Es gibt aber auch Leute, die einen Begleitbrief schreiben, worin sie ihr Bedauern über die Kündigung ausdrücken und erzählen, wie viel ihnen die Zeitschrift all die Jahre über bedeutet hat.

Die Deutschschweizer sind wohl die einzigen Menschen, die streng genommen eine andere Sprache sprechen als ihre Muttersprache ist, da es sich bei dieser um die Hochsprache handelt, die erst in der Schule gelernt wird. Da sich unsere Mundart und angeborene Muttersprache je nach Region stark oder stärker vom guten Deutsch, um den Ausdruck le bon allemand unserer welschen Miteidgenossen zu verwenden, unterscheidet, hat man als Schweizer den unfreiwilligen Humor jeweils auf seiner Seite, wenn der ins Hochdeutsche übersetzte Mundartausdruck nicht dasselbe meint wie im Dialekt. Dennoch wird in den meisten Fällen trotz des unstimmigen Sprachbildes die Meinung des Schweizers verstanden. In solchen Fällen lohnt es sich, jeweils den falschen Ausdruck auf seine Richtigkeit in der Mundart hin zu prüfen. Wenn auch, um es mit meinem Grossvater selig auszudrücken, die Deutschen ihre Sprache am allerwenigsten korrekt verwenden, ist der Amusement verursachende Ausdruck oft genug auch im Dialekt falsch. Ein solches Beispiel hierfür ist folgender insgesamt zweiseitiger Brief einer älteren Dame:

Administration Neue Wege (...)

Irgendwo in der Schweiz, Dezember 2008

Sehr geehrter Herr Baer

Seit vielen Jahren habe ich die Neuen Wege abonniert. Mit grossem Interesse haben mein Mann und ich (...) Leider geht es meinem Mann nicht mehr sehr gut. Und da ich mich aus Altersgründen verkleinern muss, möchte ich mein Abo nicht mehr erneuern. Ich bitte Sie deshalb, meine Adresse zu streichen.

Ich wünsche Ihrer wertvollen Zeitschrift alles Gute.

Mit freundlichen Grüssen


Ein netter Brief, um eine unerfreuliche Tatsache zu formulieren. Dennoch musste ich herzhaft lachen, als ich ihn gelesen hatte. Natürlich habe ich sofort verstanden, weshalb die alte Dame ihr Abonnement gekündigt hat. Weil das entstandene Bild so erheiternd wirkt, möchte ich noch einen Moment länger dabei verweilen. Das verwendete Sprachbild führt spätestens beim Verfassen der Todesanzeige zu Problemen, impliziert es, dass die Dame je älter sie wird umso mehr schrumpft. Da sie nun offenbar das Alter erreicht hat, in welchem man der Grösse wegen eine Zeitschrift im B5-Format nur noch mit Mühe halten kann, kündet sie deren Abonnement. Wohl im letztmöglichen Zeitpunkt, denn wenn sich die Dame weiter verkleinert, wird sie bei ihrer Lektüre vom Heft erschlagen. Was aber schreibt man in diesem Fall in die Todesanzeige: «Aufgrund eines tragi-schens Unfalls während seiner geliebten Lektüre ist unser liebes Grosi aus unserer Mitte gerissen worden?» Nur gut, hat die Frau auf ihr Abonnement verzichtet, bevor es zu diesem dramatischen Ereignis kam.

Das Sprachbild des sich aus Altersgründen verkleinern müssen ist noch auf eine zweite Art problematisch. Da die gute Frau wegen des Alters aus zu klein geworden ist, um die Zeitschrift weiter lesen zu können, drängt sich die Frage auf, ob sie weiterhin schrumpft und wie lange. Mit Altersgründen werden in der Regel unabwendbare und unaufhaltsame Tatsachen wie Blindheit, Krebs oder Demenz beschrieben. Kommt in unserem Beispiel vielleicht hinzu, wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass sie sich verkleinert. Kann dies aufgehalten werden oder schrumpft sie einfach so aus der Welt? Quasi als Todesursache Verkleinerung? Wie schon im ersten Fall stellt sich die Frage nach dem Text in der Todesanzeige: «Nach langer Krankheit ist unser liebes Grosi...»? Irgendwie passt dieses Bild eher zu einem Unternehmen, das von den Managern nicht zu stark gesundgeschrumpft worden war. Aber bei einem Menschen?

Es gibt in Deutschland den Ausdruck sich verkleinern, wenn man in eine kleinere Wohnung zügelt. Denn das Gegenteil davon ist sich vergrössern. Das tut man beispielsweise bei der Heirat. Also ein sprachlich korrektes Bild – irgendwo in Deutschland. Darum hoffe ich sehr, dass ich im Alter meine Körpergrösse behalten darf, denn so alt, dass ich zu klein bin, um noch eine Zeitschrift in den Händen halten zu können, möchte ich nicht werden.


neuewege

Mehr Infos auf der Webseite der Neuen Wege.

 

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ein Kompliment (Mich Gerber) – 28. November 2008
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