Insepektion in Flims
16. Mai 2010


Nach fast sechs Jahren erstmals wieder in Flims. Ein kurzer Spaziergang im Nieselregen bestätigt, dass Vieles noch da ist, wo es hingehört: Die Bergbahnstation, die Konditoreien, die Papeterie mit den Büchern für die Ferienlektüre, der Fotograf beim Caumasee-Parkplatz, dessen Name die Postkarten ziert, die Bankfilialen und die Post. Es ist das Flims der Erinnerung. Doch mit gefühlten 70 Prozent Deckungsgleiche wird jede Neuerung mit Argusaugen registriert und man geht dem Wandel auf den Grund. Hier wurde ein hoher Baum gefällt und jener Garten erinnert auch nicht mehr an den Schlittelhang des kleinen Jungen, der in die Büsche gerast war und danach wie ein Mädchen geheult hatte, das damalige Chalet hat mit den benachbarten Ferienhäusern grösseren Appartments weichen müssen.

Am augenfälligsten jedoch fehlt der Verkehr, der sich durch das Dorf gequält und dieses malträtiert hatte, seit drei Jahren kanalisiert ihn ein Entlastungstunnel. Seither scheint ein Bauboom eingesetzt zu haben, nicht nur im historischen Ortskern, der vor vier Jahren durch ein 16-jähriges Mädchen niedergebrannt worden war. Und so ist es eine Suche nach den Fixpunkten, die sich während einem Vierteljahrhundert Ferienerfahrung aus irgendwelchen Gründen eingeprägt haben. Die Waldhaus Apotheke gibt es nicht mehr, dafür in Flims Dorf die Apotheke Flims, gegenüber der noch bestehenden Drogerie und Parfümerie. Irgend eine Erinnerung projiziert einen Film, in dem Vater und ich in der Waldhaus Apothekte Notfallmedikamente gekauft hatten. Ich weiss es, denn der Parkplatz war direkt vor dem Geschäft, bei der heutigen Apotheke kann man nicht parkieren. Lag damals Schnee? War es ein Sonntag? Oder zumindest so schlechtes Wetter wie heute? Offensichtlich noch zu jung, um die Erinnerungen zum definitven Lebensfilm schneiden zu können, denn das einzig verlässliche am Erinnerungsfetzen ist die graue Umgebungsfarbe.

Verschwunden ist auch die Tankstelle kurz vor der Seilbahnstation. Ein paar Löcher auf einem Mäuerchen zeugen von den ehemaligen Zapfsäulen und den Säulen, die das verschwundene Dach gehalten haben. Bloss noch das Holzhüttchen mit geschlossner Jalousie steht noch, das als Kassenhäuschen gedient hatte. Hier ist es die Erinnerung an einen heissen Sommertag am Ende einer Wanderung, welche die momentanen Schwaden des eigenen Atems übertünchen.

Es hat merklich abgekühlt, der kälteste Mai seit Jahren vermag die heissen Erinnerungen dennoch kaum zu kühlen. Was heuer aber auffällt, sind die verschiedenen Kebabstände, die Boutiquen und die Galerien. Die gab es beim letzten Aufenthalt noch nicht. Früher, als alles so war, um sich in einer weit entfernten Zukunft in einem neuen Jahrtausend daran zurück zu erinnern. –



flims



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Flims, Hotel Vorab – 16. Mai
Verbrechen gegen die Menschlichkeit – 11. Mai
Wahrung der Relationen – 30. April


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Flims, Art Café: beim Lesen – 17. Mai
Schriftstellerleben – 17. Mai
Sprachbetrachtung: ein bemerkenswerter Satz – 18. Mai



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