Kloster Fahr
20. Juni 2015


Wenige Gäste sitzen an diesem herrlichen Samstagnachmittag im Selbstbedienungsrestaurants im Garten des Kloster Fahr. Ganz zuhinterst eine Familie, dann zwei Frauen, die vom vom Alter her Mutter und Tochter sein können, aber keine Ähnlichkeit miteinander haben. Drei Tische davor sitzt eine nicht mehr ganz so junge Frau mit einem Mädchen und hat mir den Rücken zugedreht. Ich habe vorhin im Haus gekreuzt. Das Haar der Frau ist ein Melange zwischen braun und blond, es ist die Haarfarbe einer Dreissigjährigen, die ihr Haar aus modischen Gründen tönt oder erste Altersspuren darin überdecken möchte. Ihr Gesicht ist strahlend mit warmen Augen und dank dezentem Makeup ist es zeitlos zwischen vierzig und sechzig verharrend. Auch ihre Figur und Körperhaltung zeugt von einer Frau um die Lebensmitte. Einzig ihre sportlichen, jedoch mit Krampfadern überzogenen Waden geben einen Hinweis auf ihr wahres Alter. Ihre braunhaarige Enkelin ist in dem Alter, in dem Kinder schwierig einzuschätzen sind. Sie erläutert bereits Zusammenhänge, überragt den Tisch, an dem seine Grossmutter sitzt, um Haupteslänge, doch dahinter steht der Kinderwagen.

Auf einmal ist das Mädchen verschwunden. Die Frau steht auf. Zu meiner Überraschung schaut sie nicht im Haus nach. Hatte sich das Mädchen vorhin nicht ein Glace gewünscht und musste stattdessen Brot und Käse mit der Grossmutter teilen? Seine Oma verlässt den Sitzplatz und verlässt den Garten. Ein paar Augenblicke später schiesst das Mädchen in hohem Tempo auf einem violetten Trottinet um die Ecke. Im Temporausch über das Kopfsteinpflaster holpernd, singt es ein Lied und steuert auf den Tisch mit dem Kinderwagen zu. Ein grossgewachsener blonder Herr in dunkelblauem T-Shirts und dunklen Shorts folgt ihm. Er ist noch keine dreissig Jahre alt. Seine sportliche Karriere scheint etwas unter der Vaterschaft gelitten zu haben. Er setzt sich an den Tisch und blickt kurz zu mir hinüber. Nun folgt die Frau und setzt sich wieder an ihren Platz. Der junge Herr ist unverkennbar ihr Sohn, auch wenn er weder das Gesicht noch die Eleganz seiner Mutter geerbt hat.

Die Frau unterhält sich angeregt mit ihrem Sohn. Das Mädchen steht neben seinem Vater hinter einem Stuhl und hört aufmerksam zu. Auf ein Stichwort seines Vaters trägt es seinen Teil zur Diskussion zu und beginnt von seinen verschiedenen Nuggis zu erzählen. Plötzlich knallt es, irgend etwas ist mit dem Stuhl oder dem Tisch geschehen. Erschrocken sagt die Grossmutter: «Oh!». Der Kopf des Mädchens ist ein lachendes Mondgesicht über dem Stuhl, hinter dem es steht. Das Gesicht erstarrt und dann beginnt das Kind zu weinen, zunächst der Aufmerksamkeit haschende Schrei und danach das Heulen. Der Vater nimmt es zärtlich in den Arm und spricht einige beruhigende Worte, derweil die Grossmutter eine Serviette nimmt und die Stirn des Mädchen abtupft. Blut ist keines zu sehen. Dennoch weint das Mädchen noch solange weiter, wie es die ungeteilte Aufmerksamkeit von Grossmutter und Vater hat.

There is no business like showbusiness. Bereits die Kleinsten wissen das. Sie weinen, wenn es ihnen wirklich weh tut. Als unbeteiligter Erwachsener hört man es an der Art des Weines an. Tut es ihnen wirklich weh, ist es ein Weinen, das man nicht hören möchte, weil man die Schmerzen dieses kleinen Geschöpfes am eigenen Leib zu spüren vermeint. Doch Kinder sind robuster als es uns Erwachsenen erscheint. So zum Beispiel der zweijährige Knabe, der einst im Hauptbahnhof der Länge nach hingefallen war und nach dem ersten Schock erst einmal tief durchgeatmet hatte. Schon dachte ich mir, dass er ein besonders tapferer Junge wäre, da sah ich, wie er sich in der Bahnhofhalle umschaute und dann erst zu Schreien begann. Ein paar kurze Blicke einiger Passanten geernet habend hörte er umgehend mit dem Weinen auf, als er in den Armen seiner besorgten Mutter war. Einzig der Applaus blieb ihm versagt.




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