Die Friedenspfeife
30. Oktober 1983
Mit dem Titelsong enthält «Pipes Of Peace» einer der schönsten Songs von Paul McCartney. Mit dem Duett «Say Say Say» mit Michael Jackson fand die Stabsübergabe im Popolymp statt.
Bewertung: * * * * *


Über die Hälfte der Songs auf «Pipes of Peace» stammen aus den Aufnahmesessions für das Vorgängeralbum «Tug Of War» von 1982, das ursprünglich als Doppelalbum angedacht gewesen war. Einzig der Titelsong «Pipes of Peace», «The Other Me», «So Bad», «Tug of Peace» und «Through Our Love» wurden im September und Oktober 1982 aufgenommen. Wie so oft in McCartneys Solokarriere, folgte einem Meisterwerk ein gutes bis sehr gutes Album. So auch bei «Pipes Of Peace», das einmal mehr die grosse Bandbreite von McCartneys Songwriting abdeckt, aber weder musikalisch noch mit den Verkäufen mit dem Vorgänger mithalten konnte. Obwohl die Songs kein eigentliches Restmaterial sind, scheint streckenweise auf der zweiten Seite des Albums der letzte Biss zu fehlen. Der Hauptunterschied zu «Tug Of War» ist, dass es anders klingt als sein Vorgänger, an manchen Stellen gar lieb und schön. Und das ist gut so.

abgewandelte Erfolgsformel
Denn die Chancen für ein aufgewärmtes «Tug Of War» standen gut: Neben der Hälfte der Songs aus den damaligen Sessions sass George Martin wieder an den Reglern und produzierte das Album. Paul spielte wiederum mit einem schwarzen Superstar zwei Songs ein, auf Steve Wonder folgte Michael Jackson. So waren auch die Mitmusiker dieselben, es finden sich die letzten Aufnahmen mit Denny Laine, dem treuen Compagnon aus den Wings-Tagen, Ringo Starr trommelt und Eric Stewart von 10cc spielte die Gitarre. Da Paul für das Album noch weitere Songs geschrieben hatte, wandelte er die Erfolgsformel ab, was «Pipes Of Peace» einen eigenständigen Charakter verleiht.

Wenn sich etwas auf die negativ auf die Verkäufe ausgewirkt haben sollte, dann war das die relativ weite Zeitspanne von anderthalb Jahren, die zwischen der Veröffentlichung der beiden Geschwisteralben lag. Mit einer Veröffetlichung im Frühjahr 1983 wäre das Interesse wohl noch grösser gewesen, zumal die Single «Tug Of War» im September erschienen war. Grund für die lange Pause war, das sich Paul ab November 1982 ganz auf sein nächstes Projekt, den Film «Give My Regards To Broad Street» konzentrierte, in welchem ebenfalls Eric Stewart und Ringo Starr mitspielten und George Martin den Soundtrack produziert hatte.

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Paul McCartney und Michael Jackson lachen von der Rückseite der Single «Say Say Say» entgegen. – Foto: Linda McCartney

Blickt man auf McCartneys Image, so ist er der Popstar mit den sentimentalen Balladen, der ab und zu rocken kann. Dieses Image festigte sich in den 80er-Jahren mit den beiden Alben «Tug Of War» und «Pipes Of Peace». Letzteres ist ein Pop-Album im alten Sinn, mit wunderbaren Balladen, reichlich instrumentiert und ohne die zeitgemässen in den Vordergrund gemischten Rhytmusinstrumente. Rocksongs oder Klangexperimente fehlen ganz. «Pipes Of Peace» ist musikalischer Wohlklang. Der Titelsong ist ein dreiteiliges Opus, in welchem der Pestalozzi Children's Choir die Backvocals singt. «Pipes Of Peace» ist einer der schönsten Songs, die Paul geschrieben hat.

Nach dem nachdenklichen «Tug Of War», welches das Leben als ständiges Seilziehen betrachtet, wollte Paul etwas versöhnliches schreiben. In den Lyrics reflektiert er über die Liebe, Frieden und die Zukunft, die Friedenspfeife dient hierfür als Symbol. Über «So Bad» erzählt Paul die Anekdote, dass er mit der Familie diesen neuen Song mit den Worten «girl I love you so bad» gesungen hatte. Da der viereinhalbjährige Sohn James mit dabei war, sang er noch die Wendung «boy I love so bad». James wäre etwas verschämt geworden. Paul bezeichnet den Song als simples, aber sentimentales Liebeslied, womit er recht hat. Er singt im Falsett, was ihm eine Extraportion Zuckerguss verleiht. «So Bad» ist derart süss, dass es bereits wieder schön ist, auch wenn der Song alsMusterbeispiel für Pauls kitschige Ader steht.

Die Mac & Jack Show

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von «Pipes Of Peace» lagen die gemeinsamen Aufnahmen mit Michael Jackson bereits anderthalb Jahre zurück. Jackson war unterdessen zum erfolgreichsten zeitgenössischen Künstler geworden, der 1982 mit «Thriller» und 20 Millionen verkauften Alben (2012 40 Millionen) eine noch heute gültige Bestmarke gesetzt hatte. Die Kollaboration zwischen McCartney, der 1979 als erfolgreichster Rock/Popmusiker ausgezeichnet worden war, erscheint als Stabsübergabe an die jüngere Generation. Die Jugend in den 80er-Jahren sollte mit Prince, Michael Jackson, Madonna, U2 oder Depeche Mode ihre eigenen Superstars haben. Die noch aktiven Musiker aus den 60er-Jahren sollten erst im Lauf der 90er-Jahre als Rockdinosaurier neue, generationenübergreifende Erfolge, vor allem als Liveperformer feiern.

Wie kam es zu dieser Kollaboration? Paul erinnert sich, dass er an Weihnachten von Michael Jackson auf seine Privatnummer angerufen worden war. Zuerst hätte er ihn wegen der kindlichen Stimme gar nicht erkannt. Jackson sagte, dass er gerne nach England kommen würde und ein paar Hits schreiben würde. In seiner brillanten Jackson-Biografie «Black And White» schreibt Hans-Peter Künzler, dass Jacko bereits bei der Abschlussparty der «Wings Over America Tour» 1976 dabeigewesen wäre. Dort hätte Paul Jacko auch den Song «Girlfriend» überlassen, den Jacko 1979 auf «Off The Wall» gecovert hatte. Das Original veröffentlichten die Wings 1978 auf «London Town».

Wie dem auch immer war, die erste veröffentlichte Frucht der Zusammenarbeit war der jüngste Song, «The Girl Is Mine», das auf Jacksons «Thriller» erschien und als erste Singleauskoppelung Für Jackson Glaubwürdigkeit holen sollte. Den Song hatte Jacko schon begonnen, er beendete ihn mit Paul, als die beiden zusammen Trickfilme geschaut hatten. Aufgenommen wurde er im April 1982 im Westlake Studio in Los Angeles, gut ein Jahr nach den Aufnahmen von «Say Say Say» und «The Man». Die Singleveröffentlichung wurde von Jacksons schwarzer Stammhörerschaft als weisser Song bezeichnet und erhielt auch in den Musikmagazinen mehrheitlich schlechte Presse. Dennoch erreichte er in den amerikanischen R&B Charts die Nummer 1, in den Billboard Charts Platz 2 und in England Rang 8. In der Schweiz konnte er sich nicht platzieren. Ausserdem wurde Jackson mit zwei Plagiatsklagen eingedeckt.

Ganz anders verhielt es sich, als fast ein Jahr später am 3. Oktober 1983 «Say Say Say» als Vorabsingle von «Pipes Of Peace» erschien. «Say Say Say» erschien als 7"- und 12"-Single und ermöglichte Michael Jackson seine siebente Nummer 1 in den amerikanischen Singlecharts innerhalb eines Jahres. Auf der Maxi Single ist statt bloss einer längeren Version ein funkiger Remix von John Jellybean Benitez, zu finden, der für die auf der B-Seite befindlichen Instrumentalversion nochmals remixed wurde. Beide Formate enthielten zudem «Ode To A Koala Bear», ein Song, der möglicherweise aus einer Wings-Session 1975 stammte, als Paul sich in Australien beeindruckt von den Koalabären gezeigt und auf die Frage nach seinem Lieblingstier die putzigen Koalas angegeben hatte.

mccartneyjackson Paul und Linda McCartney mit Michael Jackson. – Foto: Richard Young, Rex Featuers

Paul erinnert sich, dass sie oben an der Treppe im MPL-Gebäude in London gesessen waren und er auf der Gitarre «Say Say Say» spielte, während Jackson Textelemente beigesteuert hatte. Weshalb der dritte Song, «The Man» nicht auch noch als Single ausgekoppelt wurde, ist bis heute unklar, denn es wurde sogar ein Video dazu gedreht, das ebenfalls unveröffentlicht ist. Paul vermutet, dass Michael Jackson mit the man Gott meinte, denn damals gehörte er noch den Zeugen Jehovas an. Für McCartney ist Glaube Privatsache, wenn es um die Musik geht, möchte er Gott als universell-spirituelle Macht verstanden wissen, welche von keiner Religion vereinnahmt wird.

Paul und Michael verstanden sich gut. Die Mac & Jack Show endete jedoch1985 ziemlich abrupt. 1981 hatte er sich bei Paul nach Geschäftstipps erkundigt. Paul riet ihm, einen Musikverlag zu eröffnen. Michael Jackson hatte damals immer gesagt: «I’m gonna buy your songs.» Anfänglich hielt es McCartney für einen guten Witz. Doch als ihm 1984 ATV Music angeboten wurde, das mittlerweile die Rechte an Northern Songs, das die Lennon/McCartney Songs verlegte, trat er mit Yoko Ono in Kontakt, um die Songsrechte gemeinsam zu kaufen. Yoko Ono hielt Paul hin, wodurch Michael Jackson die Gelegenheit nutzte und die Rechte kaufte. Kein Öl ins Feuer schüttete Paul, als er zu den Kindesmissbrauchsvorwürden gegenüber Michael Jackson gefragt wurde. Er äusserte sich dahingehend, dass sich Michael gut mit den Kindern verstanden hätte, aber weder ihm noch Linda Merkwürdiges aufgefallen wäre.

Cover Reminiszenzen
Paul hat die Tatsache, dass ein Teil der Songs aus den «Tug Of War»-Sessions stammte, augenzwinkernd aufgenommen: So findet sich Brian Clarkes rotblaues Muster, das für das Cover von «Tug Of War» verwendet worden war, auf dem Label der Album B-Seite als Bodenplatte unterhalb eines Chromstuhles wieder, auf dem neben Pfeife und Tabakbeutel auch Pauls Panflöte liegt. Der Chromstuhl ist eine Plastik von Clive Parker, die er 1966 gefertigt hat und eine Nachbildung von Vincent Van Goghs «Stuhl mit Pfeife» von 1888 ist.

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Das Cover (oben) und die Innenhülle des Originalalbums. Die Polaroids erinnern an «Band On The Run» von 1973.

Das Cover von «Pipes Of Peace» kommt ohne Tracklisting aus. Auf der Vorderseite des Klappcovers sieht man den Bakers Chromstuhl mit einer Pfeife, daran angelehnt ein Kalumet sowie drei Orgelpfeifen und den Zug einer Posaune. Von der Rückseite her streckt Paul seine linke Hand mit einer Panflöte ins Bild. Das Tracklisting befindet sich auf der Innenseite neben Polaroids der mitwirkenden Musikern, die Linda aufgenommen hatte. Die Idee mit den Polaroids hatte Paul schon beim Poster von «Band On The Run» angewendet.



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Paul spielt für ein offizielles Pressefoto die Friedenspfeife. – Foto: Linda McCartney; paulmccartney.com

Weihnachten 1914 im Videoclip
Wie Michael Jackson, der mit «Thriller» einen Videoklassiker veröffentlicht hatte, investierte McCartney Anfang der 80er-Jahre in das Medium Video. Beide drehten dabei aufwändige Videoclips bzw. Minispielfilme. Mit dem neuen Fernsehkanal MTV fanden die Werbevideos, wie die Videoclips zuvor hiessen, ein neues Publikum. Paul drehte seit den Beatlestagen Videos, etwas was John Lennon nach der Beatlestrennung meistens unterlassen hatte. Obwohl das Video in Surrey gedreht wurde, inszenierte Paul in «Pipes Of Peace» den Waffenstillstand in den Schützengräben der Westfront über Weihnachten 1914.
Paul spielt dabei sowohl den britischen als auch den deutschen Soldaten, die sich die Hand reichen. Für das Video liess sich Paul einen Armee-Haarschnitt verpassen. Insgesamt spielten 200 Personen mit. Der Videodreh kostete 200 000 Pfund. Der Aufwand lohnte sich, das Video wurde mit dem Brit Award für das beste Video von 1983 ausgezeichnet. Im Videoclip zu «Say Say Say» spielen McCartney und Jackson die betrügerischen Künstler Mac und Jack. Das Video drehte Bob Giraldi, der zuvor auch Jackos «Beat It» inszeniert hatte. Drehort war das kalifornische Los Alamos. Trotz weniger Aufwand als bei «Pipes Of Peace» beliefen sich die Kosten für «Say Say Say» 500 000 Dollar. Neben Macca, Jacko und Linda traten im Video auch Harry Dean Stanton und Michaels Schwester La Toya auf.

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Handschlag zwischen den beiden Frontsoldaten Paul und Paul. Screenshot aus dem Video von «Pipes Of Peace»

Rezeption
«Pipes Of Peace» erhielt in den USA, in England und Kanda eine Platinauszeichnung. In den UK-Album-Charts klassierte sich das Album auf Rang 4, in den amerikanischen Billboard Charts auf Rang 15, in der Schweiz erreichte das Album den 12. Platz. «Say Say Say» erreichte in den amerikanischen Singlecharts die Topposition, in England Rang 2. Als zweite Single wurde in England «Pipes Of Peace» ausgekoppelt und erreicht die Toppostion. Es war die letzte Nummer 1 Single für Paul McCartney mit einem eigenen Song. In den USA wurden einmal mehr die A- und B-Seite vertauscht, «So Bad» erreichte immerhin Rang 23. Gedreht wurde ein separtes Video, worin Paul, Linda und Eric Stewart in einem Studiodekor zu sehen sind. Die drei Videoclips zum «Pipes Of Peace»-Album sind in der 2007 erschienen Videokollektion «The McCartney Years» erhältlich.

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Drei Meister ihres Genres bei den Aufnahmesessions von «Say Say Say» oder «The Man» 1982 in den Abbey Road Studios: Beatles-Produzent George Martin, Paul McCartney und Michael Jackson. - Foto: Linda McCartney


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Tracklist Original Album:
Pipes Of Peace
Say Say Say
The Other Me
Keep Under Cover
The Man
Sweetest Little Show
Average Person
Hey Hey
Tug Of Peace
Through Our Love

Bonus Tracks auf CD:
Twice In a Lifetime
We All Stand Together
Simple As That

Singles 1983:

Say Say Say
saysaysay

Single:

Say Say Say
Ode To A Koala Bear

Maxi Single:
Say Say Say Remixed by John Jellybean Benitez
Say Say Say (Instrumental) Remixed by John Jellybean Benitez
Ode To A Koala Bear

Pipes Of Peace
(International)

pipessingle

Pipes Of Peace
So Bad

So Bad (USA)
so bad

So Bad
Pipes Of Peace

Michael Jackson 1982:
The Girl Is Mine

tgm

The Girl Is Mine
Can’t Get Outta Rain



Links:
http://www.paulmccartney.com



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