mein Leipzig lob ich mir

6. April 2018


Bereits auf der Schulreise 1995 fühlte ich mich in Leipzig wie zu Hause, ich fand, dass trotz Kriegswunden und DDR-Bausünden die Stadt ihre Qualitäten behalten hatte. Später, mit Kenntnis von Dresden und Chemnitz als Transitort auf dem Weg ins Erzgebirge zu meinem Sänger- und Wanderfreund, Kantor Steinert, ekrannte ich, dass in Sachsen und in der Deutschschweiz die Städteordnung gleich ist: In Basel und Chemnitz die Industrie, Bern und Dresden sind die malerischen Hauptstädte, das wahre Leben aber pulsiert in Zürich und Leipzig, den Handelsstädten bzw. Metropolen.

In meiner Erinnerung ist Leipzig 1995 noch eine graue Stadt. Schnell hatte ich vom Hauptbahnhof aus den Schleichweg in die Altstadt entdeckt: durch den McDonalds, der zum Bahnhof und zur Stadt hin Eingänge hatte. Ob es den Mac heute noch gibt? Gestern habe ich ihn nicht gefunden. Dafür aber die Leuchtreklame «Mein Leipzig lob ich mir» über dem Brühl. Wahrscheinlich gibt es den Mac tatsächlich nicht mehr, denn wie schon so oft auf dieser Reise, stellte ich fest, dass seit meinem letzten Besuch vor 12 Jahren einiges neu gebaut wurde, auch in Leipzig. Das ehemalige Konsument-Warenhaus der DDR mit seiner genoppten Aluminium-Fassade, im Volksmund Blechbüchse genannt, musste einem Ersatzneubau weichen und ist Teil eines noch grösseren Einkaufszentrums der Höfe am Brühl. Bereits 1995 war ich Konsument in der Blechbüchse. Der Werbeschriftzug aus den 70er-Jahren, längst ein Wahrzeichen der Stadt, wurde wieder angebracht.


Es ist der Moment, auf den sich Vater die ganze Zeit gefreut hat und heute ungeduldig werden liess, freie Zeit in Leipzig. Auf seinen früheren Besuchen hatte er die eine oder andere Buchhandlung entdeckt. Nach unser Rückkehr aus Eisleben unternehmen wir einen spätnachmittäglichen bzw. frühabendlichen Altstadtbummel. Das letzte Mal, als ich in Leipzig war, 2006, war zu Beginn der Adventszeit mit dem Weihnachtsmarkt, ich erinnere mich an einen Samichlaus, der auf einer Bimmelbahn vor allem Kinder um den Markt fuhr. Eine Woche nach Ostern ist weder Markt noch der Nikolaus da. Wir gehen an der Palme bei der Nikolai-Kirche vorbei. Letztendlich landen wir im Speckshof und finden auch eine wohlsortierte Buchhandlung.

Specks Höfe Leipzig April 2018


L’heure bleue verbringen wir mit einer heissen Schokolade im Riquet, dessen Geschichte bis 1745 zurückreicht. Das städtische Kaffeehaus mit seinem Pagodendach und den beiden Elefantenköpfen über dem Ein-gang wurde 1908/09 vom Architekten Paul Lange entworfen. Was mich auf der Schulreise 1995 in Eisenach, Erfurt und Leipzig am meisten fasziniert hat, war die Parallelität der Geschichte, damals gab es noch immer Baulücken aus dem 2. Weltkrieg. Das Riquet-Haus wurde vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen und konnte in den 90er-Jahren mitsamt Pagode restauriert werden. Doch noch heute, wenn man vom Salzgässchen zur Reichsstrasse geht und vor sich nur einen Parkplatz sieht, daneben das klassizistische Gebäude des Riquets, das seiner Nachbarn beraubt wurde, erahnt man, wie Deutschland, das Trümmerland, vor siebzig Jahren ausgesehen haben muss. Während Vater in den neuen Büchern blättert und wir die Leipziger Feierabendhektik an uns vor-beiziehen lassen, zeichne ich die Skizze für das grafische Gedicht «Leipzig

Eingang Riquet Kaffeehaus Leipzig April 2018


 

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Halle - Transit – 6. April
von Luther in Erfurt zu Goehte in Leipzig – 5. April
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Leipzig – 6. April
über Land –7. April
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