von Luther in Erfurt zu Goethe in Leipzig

5. April 2018


Ein letztes Mal schleicht Simon den engen und kurvenreichen Hainstein hinab in die Stadt. Vorbei an den Villen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, aber auch vorbei an den Wahlplakten für die Oberbürgermeisterwahl vom 15. April. «Mit Plan für Eisenach» steht daruf zu lesen, oder «Einer von uns», was derselbe Slogan ist, mit dem Philippo Leutenegger unlängst erfolglos als Stadtpräsident von Zürich kandidiert hatte. Bei der Fahrt über Land, zunächst auf der Landstrasse, dann auf der Autobahn, macht der April seinem Name alle Ehre. Der hohe Sonnenstand taucht den Himmel in kräftiges Hellblau, das Gras leuchtet von jungem Grün, die Bäume sind aber noch kahl. Manchmal verdecken anthrazitfarbene Wolken die Sonne und tauchen die Landschaft in das unbestimmbare Licht der Zwischensaison.

Pünktlich nach zehn Uhr kommen wir beim Domplatz von Erfurt an. Leider ist er durch eine Chilbi verstellt. Erfurt ist Haupstadt von Thüringen, hat 210 000 Einwohner, was Genf entspricht und verfügt über eine Universität, ist Bistumssitz und Sitz des Bundesarbeitsgerichts. In der mittellalterlich geprägten Altstadt ist die barocke Zitadelle Petersberg und die älteste erhaltene Synagoge von Mittelalter. Unsere Reisegruppe wandelt weiter auf den Spuren von Martin Luther und näherr sich von der Seite an der an der kleineren, dreitürmigen Severinkirche vorbei dem Dom. Als architektonisches Ensemble bilden sie mit der Treppe zum Domplatz hinab das Wahrzeichen der Stadt. Die Hohe Domkirche St. Marien wurde zur selben Zeit errichtet wie das Grossmünster in Zürich. Er ist 81 Meter hoch und seine Glocke «Gloriosa» ist die grösste freischwingende mittellaterliche Glocke Europas. Während fast 1000 Jahren war der Dom Sitz Kollegialstifts St. Marien. In der Kilianskapelle wurde am 3. April 1507 Martin Luther zum Priester geweiht.


Weiter geht’s auf Dr. Martins Spuren, die Treppe über den Domplatz hinab und vom Regen begossen in die malerische Altstadt. Vorbei am Standesamt und der Alten Universität, machen wir in der Michaeliskirche einen Zwischenhalt, sie war die Universitätskirche und ist die älteste Pfarrkirche. Unser Stadtrundgang führt ein erste Mal zum Augustinerkloster, und endet bei der Krämerbrücke. Wie der Ponte Vecchio in Florenz stammt sie aus dem Mittelalter und ist auf ihren Seiten von Häusern bebaut. Nach einem individuellen Mittagessen, z.B. im Fellini beim Fischmarkt.

Am Nachmittag Abmarsch zum Augustinerkloster im strömenden Regen. Wir wir haben eine Führung durch das Augustinerkloster. Hier übernachtete einst Grossmünster-Pfarrer Martin Rüsch und studierte Luther. Es ist eine der bedeutensten Lutherstätten Erfurts. Überrascht von einen schweren Gewitter – auf der Hinfahrt haben wir einen ersten Eindruck von der thüringischen Tiefebene erhalten – hatte Luther das Gelübde abgelegt, Mönch zu werden. Gegen den Willen seines Vaters. Am 17. Juli 1505 trat er als Novize in das Augustinerkloster ein und verliess es im Herbst 1511 als Priester. Auf der Fahrt an den Reichstag von Worms hielt er hier am 7. April 1521 seine berühmte Predigt «Ich will die Wahrheit sagen und muss es tun und sollte es mich zwanzig Hälse kosten.»

Uns Zwinglianern fremd, wird Luther wie ein katholischer Heiliger verehrt und auf der Führung wurden nicht nur die noch erhaltenen mittelalterlichen Fenster gezeigt, sondern auch gefühlt jeder Sitz- und Liegeplatz Luthers. 1559 wurde das Kloster von der Stadt säkularisiert. Während eines Luftangriffs am 25. Februar 1945 wurden grosse Teile zerstört. 267 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, viele aus dem evangelischen Waisenhaus, die im Keller der Klosterbibliothek in einem Schutzraum Unterschlupf gesucht hatten, waren ums Leben gekommen. Nach dem Krieg wurde das Kloster wieder aufgebaut, 1988 wurde das christliche Tagungsheim eingeweiht. Am 28. September 1989 wurden fand hier eine Informationsveranstaltung des Demokratischen Aufbruchs mit 1000 Besuchern satt, zwei Monate später war die Mauer gefallen. Weitere Restaurationen und Mordernisierungen erfolgten in den Jahren 2001 – 2003 und 2011. Heute ist es ein ökumenisches Tagungszentrum.



Erfurt: Kämerbrücke.


Gut eine Stunde steht uns zur Verfügung, um bei strahlendem Sonnenschein in der Stadt noch einen letzten Kaffee zu trinken, ehe Simon um vier Uhr nach Leipzig weiterfährt. Auf der Autobahn A4 liest Martin erneut aus dem Buch «Als unser Deutsch erfunden wurde» von Bruno Preisendörfer vor. Geistig in die Kulinarik des 16. Jahrhundert reisend, rauscht an unseren Fenstern eine der bedeutendsten Landschaften des Thüringer Beckens vorbei: Kurz nach der Autobahnauffahrt mahnt linkerhand das Denkmal des KZ Buchenwald, dieses lassen wir ebenso links liegen das nahegelegene Weimar, sowohl das moderne als auch das Klassische von Goethe und Schiller. Wie eine Mauer taucht auf einmal die Universitäts- und Industriestadt Jena im Saaletal auf. Hier wird es wieder waldig und hügelig. Wir zweigen auf die A9 (München - Berlin) ab und verlassen auf ihr Thüringen.

Wie auf Schienen setzen wir unseren Transit durch Sachsen-Anhalt fort. Die Landschaft ist wieder eben. Auf den Feldern reiht sich Windpark um Windpark. Der Verkehr nimmt zu, die Landschaft verstädtert nach und nach, wir nähern uns der Metropole Leipzig. Kurz davor fahren wir an Lützen vorbei. Der Glaubensspatung durch die Reformation folgte der Dreissigjährige Krieg, aus dem sich die damalige Eidgenossenschaft mehrheitlich raushalten konnte. Hier im ehemaligen Königreich Sachsen, wurde er ausgetragen. In der Schlacht von Lützen am 6. November 1632 trafen das protestantisch schwedische Heer auf das katholisch kaiserliche Heer, das von Wallenstein angeführt wurde. In der Schlacht kam der schwedische König Gustav II. Adolf ums Leben.

Gleich nach Lützen erreichen wir Sachsen, durch das Tal (trotz Ebene) der Weissen Elster, erreichen erreichen wir Lepizig. Die Stadt zählt 590 000 Bewohner, Baggerseen und Birkenwälder prägen die Landschaft um die Stadt, sogar ein AKW steht am Horizont. Und immer wieder die Windkraftanlage:. In Sachsen standen 2015 891 Windernegieanlagen. Schon von Weitem grüssen das Völkerschlachtdenkmal und das City Hochhaus. Unser Hotel ist zentral beim Hauptbahnhof gelegen, umfasst einen Jugendstilbau und einen moderneren Anbau.

Eine Stadt wie Leipzig lädt zur Erkundung ein, und so findet unser Nachtessen mitten in der Altstadt statt, im weltberühmten Auerbachskeller, der nach eigenen Angaben gehobene sächsische Küche und Hausmannskost anbietet. Wir erhalten eine Vorspeise mit verschiedenen kalten Zutaten, am Tisch herrscht Uneinigkeit, ob es als Leipziger Allerei durchgeht, der Hauptgang ist Zürigschnätzlets mit Rösti. Auerbachs Keller gehörte bereits im 16. Jahrhundert zu beliebtesten Weinlokalen der Stadt. Während seines Studiums in Leipzig 1765-1768 weilte Goethe oft in Auerbachskeller. Die 1625 entstandenen Bilder zu Dr. Faust inspirierte ihn u.a. zu Faust 1, worin er dem Keller ein dichterisches Denkmal setzte: «Mein Leipzig lob' ich mir! Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.» – Noch heute, ist man versucht zu sagen, denn zu den Höhepunkten eines Mahls in Auerbachs Keller gehört die etwas frei improvisierte Aufführung aus Faust 1 mit Mephisto und Gretchen. Auf dem Rückweg zum Hotel in einer kühlen Sternennacht, hat wohl manch einer sich Leipzig gelobt und freute sich auf die bevorstehende Stadtführung am anderen Tag.


Leipzig: Auerbachs Keller.

 

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Teufelserscheinung – 4. April
in der lieben Stadt – 4. April
Ankunft mit Hindernissen in Eisenach – 3. April


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Halle Transit – 6. April
wenig Leben in Eisleben – 6. April
mein Leipzig lob ich mir – 6. April




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