in der lieben Stadt

4. April 2018


Simon fährt uns vorsichtig durch die engen Kurven des Hainsteins zur Altstadt hinab. Luther nannte Eisenach «meine liebe Stadt», lieblich ist sie im Morgenlicht der Frühlingssonne alleweil. Noch ist es frisch. Die Stadtführerin erwartet uns vor dem Rathaus auf dem Markt, wo ein solcher stattfindet. Sie erzählt aus der Stadtgeschichte: Bereits Jahrhunderte vor der Reformation war sie geistiges und kulturelles Zentrum. Etwas abseits des Marktplatzes ist die Predigerkirche, noch immer ohne Turm, weshalb sie im Stadtbild nicht weiter auffällt, ausser dass ihre rauhen Steine nicht verputzt sind, die angebauten Gebäude des ehemaligen Dominikanerklosters sind weiss gestrichen. Von meinem ersten Besuch fünf Jahre nach der Wende ist sie mir in schlechtem Zustand in Erinnerung. Auch jetzt wirkt die Fassade etwas baufälliger als für einen musealen Bau nötig: Die Kirche ist Teil des Thüringer Museums, die ehemaligen Klosterbauten beherber-gen das Martin-Luther-Gymnasium. Die Predigerkirche wurde im 13. Jahrhundert ohne Turm und Quer-haus zu Ehren der heiligen Elisabeth gebaut, Heinrich Raspes Herz wurde 1247 hier beerdigt. Sie erinnert von ihrer Grösse an die ihre Zürcher Schwester. Im 16. Jahrhundert wurde im Kloster eine Lateinschule eingerichtet, an die jungen Luther und Bach unterrichtet wurden und aus der das heutige Gymnasium entstand. Heute wird in der Kirche thüringische Schnitzkunst gezeigt.

markt eisenach 2018
Markt vor dem Stadtschloss Eisenach.


Nach diesem Abstecher geht es über den Telemann-Platz zurück zur Stadtkirche, die den Marktplatz auf der Südseite beschliesst. Der heutige Bau ging ab 1515 als gotische Hallenkirche aus dem Vorgänger hervor. Die Kirche blieb bis zur Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts ohne Turm, dieser wurde 1899 bis 1902 nach dem Vorbild des Domes von Monza hinzugefügt. Die Glocken befanden sich bis dahin in einem Glockenhaus. Ich erinnere mich an 1995, wir standen, wohl auch bei einer Stadtführung, vor der Georgenkirche, ich schaute dem Turm entlang zum Himmel hoch, der Wind trieb die Schönwetterwolken vor sich her, es wirkte als ob sich der Turm bewegen würde.

Die gemischten Stile im Innern stammen von den Renovationen der folgenden Jahrhunderte, das einzige, was sie von einer katholischen Barockkirche unterscheidet, ist, dass es weniger Pomp und Zierrat hat. Auch beim dritten oder vierten Besuch sagt mir das Innere nicht zu. Gehe am spätgotischen Taufstein vorbei in den Chor mit den Grabplatten der Thüringer Landgrafen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Hier ist noch etwas mehr Authentizität zu verspüren, obwohl die Grabplatten wohl aus dem 14. Jahrhundert stammen. Ich umrunde den Kreuzaltar und bewundere die Figurengruppe, vor allem die Lockenpracht der männlichen Figur im roten Mantel, die mich an Queen-Gitarrist Brian May erinnert.

Dennoch läuft mir ein kurzer Schauer den Rücken hinab, als ich erneut zum Taufstein komme. Ich stelle mir die Taufe des vor drei Tagen geborenen Johann Sebastian Bachs vor, der hier als Schüler im selben Knabenchor des Lateingymnasiums wie einst Luther gesungen hat. Ich frage mich auch, wo Georg Philipp Telemann am 1. Advent 1710 seine elf Musiker aufgestellt hatte, als er die erste Kantate aus seinem ersten Kantaten-Jahrgang aufführte: Im Halbkreis vor dem Taufstein? Um diesen herum? Links oder rechts davor? Oder auf der Empore? Wie hatte die Musik im 18. Jahrhundert geklungen? Und wo hat Luther im Mai 1521 nach der Rückkehr vom Reichstag in Worms, unter Reichsacht stehend, gepredigt? Die Kanzel ist es nicht, sie stammt aus dem 17. Jahrhundert ist mit ihren Barockverzierungen alles andere als authentisch.

lutherhaus eisenach 2018
Das Lutherhaus am Lutherplatz, gesehen 2018.

 

Bei meinen ersten beiden Besuchen 1995 und 2006 bildete das Lutherhaus als Solitär den Abschluss zum Lutherplatz hin, 2013 bis 15 wurde es renoviert und auf das Reformationsjubiläum hin mit einem modernen Anbau erweitert. Das Lutherhaus gilt als eines der ältesten Fachwerkhäuser Thüringens, von 1498 bis 1501 hatte hier Martin Luther als Schüler bei der Familie Cotta gewohnt. In schöner Erinnerung geblieben ist mit das Café mit der christlichen Bücherstube, worin man immer herzlich empfangen wurde und einen für deutsche Verhältnisse sehr guten Kaffee erhielt. Nach dem Umbau gibt es diese nun nicht mehr, stattdessen zeugt ein heller und doch kalt wirkender, moderner Museumsshop mit musealer Dutzendware von der seelenlos kapitalistischen Moderne. Die Ausstellung «Luther und die Bibel», die auf das Reformationsjubiläum konzipiert wurde, ist sehenswert. Eine Schautafel zeigt verschiedene Wortschöpfungen aus Luthers Bibelübersetzung, wie zum Beispiel Denkzettel, Lästermaul, Nächstenliebe, ein Herz und eine Seele. Eine andere berechnet den Gegenwert von Rindern zu einer einzelnen Bibel: 1456 musste man für eine Bibel 14 Rinder bezahlen, 1534 Betrug das Verhältnis 2,5:1 und 1713 wogen 36 Bibeln ein Rind auf. Ein weiterer Raum widmet sich der Wirkungsweise der Bibel und deren Missbräuche, es wird auf Luthers antisemitische Texte eingegangen, die Entjudungsversuche und Völkische Theologie der Nazizeit gezeigt und die «Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik» von Walter Ulbricht ausgestellt.

Zum dritten Mal Besuch im Bachmuseum: Auch dieses wurde nach meinem letzten Besuch vor zwölf Jahren erweitert und hat eine neue Ausstellung. Der moderne Anbau, so verschieden er ist, passt gut in die Umgebung der alten Häuser. Im Innern verleiht er dem Bachhaus eine neue Grosszügigkeit. Vor allem willkommen ist die Cafeteria mit einem guten Kaffee. Kommen anschliessend in den Genuss einer kleinen Vorführung auf den verschiedenen Klavieren, die es zu Johann Sebastian Bachs Zeiten gegeben hat. Auch lernen wir die korrekte Mehrzahl von Bach: die Bache – stammt er doch aus einer musikalischen Familie, die während 130 Jahren die Organisten der Eisenacher Georgenkirche stellte. Das Haus am Frauenplan wurde im 19. Jahrhundert irrtümlich als Geburtshaus von Johann Sebastian Bach bezeichnet. Neben der neukonzipierten Ausstellung erfreut auch der Garten. Ein Detail, das für Aufsehen sorgt, ist ein kleiner Erker in der ersten Etage, nicht alle aus der Reisegruppe kommen darauf, dass dies einst der Abort gewesen war.

bachhaus eisenach 2018
Bachhaus in Eisenach.


frühere Beiträge:
Ankunft mit Hindernissen in Eisenach – 3. April
Kalimandscharo: Eindrücke aus dem Reisebus – 3. April
Mittagsrast in Speyer – 3. April


folgende Beiträge:
wo einem der Teufel erscheint – 4. April
von Luther in Erfurt zu Goethe in Leipzig – 5. April
Halle Transit – 6. April




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