wenig Leben in Eisleben

6. April 2018


Kurz nach uns fährt ein Berner Car von Fassnacht auf den Busparkplatz Eisleben. Nach ein paar Minuten holt uns hier eine Stadtführerin ab, beginnt aber mit der Führung in unserem Car, wo sie etwas zur Stadtgeschichte Eislebens erzählt. Vor allem über den Besuch von Kaiser Wilhelm II. zur 700-Jahr-Feier des Mansfelder Kupferschieferbergbaus im Jahre 1900. Die Hohenzollern hatten sich 1847 geschworen, niemals einen Fuss nach Eisleben zu setzen, nachdem hungernde Bürger den Abtransport von Getreide verhindert hatten, und die Truppen des Militärkommandos mit Steinen beworfen hatten. Da der Kaiser ein halbes Jahrhundert später für seine Rüstungspläne vom Mansfelder Kupferbergbau abhängig war, besuchte er die Feierlichkeiten. Sein Besuchsprogramm war auf eine Stunde gekürzt worden – und damit er und Kaiserin Auguste Viktoria keinen Fuss auf Eislebener Boden setzten mussten, wurde für die Kaiserin eine Kutsche organisiert, der Kaiser nahm hoch zu Ross an der Zeremonie teil. Unsere Stadtführerin sei keine Royalistin, das stellte sie gleich zu Beginn resolut klar.

Unsere erste Station ist in Luthers Sterbehaus, das damals aus dem kaiserlichen Programm gestrichen worden war. Der heilige Martin hat uns wieder, wichtigste Reliquie ist das Bahrtuch, das über Luthers Sarg drapiert worden war. Jedoch ist der Gedenkplatz im falschen Haus, da 1762 der Chronist Eusebius Francke die Häuser von Barthel Drachstedt und dessen Vater Dr. Philipp Drachstedt verwechselt hatte. In Luthers wirklichem Sterbehaus befindet sich heute das Hotel Graf Mansfeld. Vom Sterbehaus ist es ein Katzensprung zur St. Andreas-Kirche, wo Luthers Leichnam aufgebahrt war, und wo er seine vier letzten Predigten gehalten hatte. Als ich die Kanzel mit ihren Grisaille Malereien sehe, erinnere ich mich an eine Fernsehsendung, die ich vor etwa einem halben Jahr gesehen habe über eine amerikanische Kirchgemeinde, die für die Restaurierung der Kanzel Geld gesammelt hat. Ewige Baustelle Kirche, ein Seitenschiff wird renoviert.

St. Andreas Eisleben April 2018 mit LUtherkanzel


Anschliessend Spaziergang durch eine fast menschenleere Stadt. Obwohl man in Eisleben wie anderenorts die DDR vergessen machen will, gehen wir an einer Gedenktafel an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 vorbei. Jedes Jahr gedenkt eine Gruppe Zeitzeugen daran. Leider erzählt die Stadtführerin kaum etwas dazu, dafür viel mehr zu Luther unterhalb seines Denkmales auf dem verwaisten Marktplatz, wo 1900 die Feierlichkeiten mit dem Kaiser stattgefunden hatten. Obwohl es ein strahlend blauer Tag Frühlingstag ist, ist es gegen Mittag immer noch frisch. Ein Paketbote liefert aus, und ein paar Junge lungern herum, auch eine junge Familie, sie sehen alle wie Hip Hopper aus den USA aus, doch anstatt, dass sie arbeiten, leben sie bloss Hartz-IV-Tristesse. Einigen Reisemitgliedern ist ob der Gruppe unwohl.

Gedenktafel zum 17. Juni 1953 in Eisleben


Weiter geht die Führung, wir überqueren die Böse Sieben über die Strickbrücke. Bis ins 19. Jahrhundert hiess der im Harz entspringende Bach Willerbach (wilder Bach), er hat immer wieder grössere Schäden verursacht. Umgeben von Häusern, erreichen wir die St. Petri-Pauli-Kirche. Vor allem fallen ihr schwarzes Dach und die schwarze Haube des Turmes auf. Sie wurde 2010–2012 inwendig renoviert; ein heller, lichtdurchfluteter Raum. Luther würde seine Taufkirche kaum mehr erkennen: Im Boden des Mittelschiffs ist vor dem Altar ein kreisrunder Taufbrunnen geschaffen, der mit bewegtem Wasser gefüllt ist. Von ihm aus ziehen sich konzentrische Kreise einem die Lebenskreise symbolisierenden Wellenmuster gleich durch den gesamten Raum. Den Abschluss der Stadtführung bildet Luthers Geburtshaus. Dieses ist ein Memorialbau, da das ursprüngliche Haus 1689 beim Stadtbrand zerstört wurde. Mit seiner modernen Ausstellung zum Thema Luther und dem Bergbau gefällt es mir um einiges besser als das Sterbehaus. Vor allem das Stadtmodell und das Modell einer mittelalterlichen Grube faszinieren mich.

Taufbecken St. Petri-Pauli Kirche Eisleben


Die Mittagspause verbringen wir noch in Eisleben, ein Teil der Reisegruppe möchte unbedingt Saale Unstrut, den Wein aus der Gegend versuchen. Ihnen geht es gleich wie mir, als Werner letztes oder vorletztes Jahr eine Flasche mitgebracht hat. Mit Gutedel ist es dieselbe Traubensorte wie der Chasselas vom Genfersee. Auf der Suche nach einem passablen Restaurant landen Vater und ich in der Ratsstube, die mit deutsch mediterraner Küche wirbt und wo wir wieder auf die Gruppe treffen, die den lokalen Wein kredenzt. Das Mittagsmenü ist Pouletbrust mit Bratkartoffeln und Spargeln, alles im Backbeutel gegart. Es ist sehr gut, zuhause werde ich das einmal nachkochen.

Die Rückfahrt führt über Querfurt zurück auf die Autobahn. Als wir uns Leipzig nähern, nehmen die Windkraftanlagen wieder zu. Beeindruckend ist das Werk von Leuna Chemie. Ich hatte es als gross in Erinnerung, doch nicht derart. Seine rauchenden Schlote sind im Vergleich zu den Windkraftrotoren Solitäre. Solitär ist es auch im Vergleich zu Basel, bei der Einfahrt in die Stadt fährt man von Rheinfelden an mehreren Werken vorbei, Leipzig hat es bis heute geschafft, dieses Werk auf der grünen Wiese, eine Autobahnhalbstunde entfernt zu belassen. Auf derselben Route wie gestern fahren wir in die Leipzig ein.

Marktplatz Eisleben mit Rathaus und Lutherdenkmal April 2018
Der Eislebener Marktplatz mit dem Lutherdenkmal vor dem Rathaus. Im Hintergrund der Turm von St. Andreas.

 

frühere Beiträge:
Halle - Transit – 6. April
von Luther in Erfurt zu Goethe in Leipzig – 5. April
Teufelserscheinung – 4. April


folgende Beiträge:
mein Leipzig lob ich mir – 6. April
Leipzig – 6. April
über Land –7. April




zurück zu 2018
zurück zur Blogübersicht
VzfB-Home

 

© 2018 by VzfB | All Rights Reserverd