Das Leben
in der Sowjetunion war nicht lustig. Schon gar nicht, wenn
man Rockmusik hören wollte, denn diese galt als Zeichen
der westlichen Dekadenz. Für den Besitz von Beatlesplatten
wurde man schon mal ins Gefängnis geworfen. Und doch
hatte das sowjetische Rockerleben seine Romantik: Irgendwann
in den 60er-Jahren erschien in der Isvestja ein Artikel, wie
man mit den Innereien eines normalen Telefons in wenigen Schritten
seine Gitarre elektrifizieren wollte. Anderntags waren in
Moskau sämtliche öffentlichen Telefone ausgeschlachtet.
Und die simplen Plastikfolien der Röngtenbilder entwickelten
durch die Gammabestrahlung Resonanzeigenschaften womit sich
relativ einfach nicht bloss Flexidiscs anfertigen liessen.
Obwohl sie auf dem Index standen, wurden Ende der 60er-Jahre
die Beatles in Russland wie Götter verehrt. Die Jungen
verehrten ihre Fotos wie Ikonen und liessen sich die Haare
wachsen. Die «Beatles waren ein offenes Fenster zur
Freiheit», erzählt Vladimir Putin in der mit einem
Emmy ausgezeichneten TV-Dokumentation Paul McCartney In
Red Square. Anfang der 70er-Jahre begannen sich so genannte
Beatlesbands zu gründen, deren Mitglieder und Fans schnell
als innerliche Dissidenten bezeichnet worden waren. Physisch
lebten sie zwar noch in der Sowjetunion, doch in ihrem Kopf
waren sie anderswo. Sie hatten den Ruf der Freiheit in der
Rockmusik gehört.
Und doch liess sich auf Dauer die Rockmusik nicht unterdrücken.
Westplatten kosteten 50 80 Rubel, was einem halben
Monatslohn entsprach, doch die Jungen kauften die Alben trotzdem.
So begann das Kulturministerium Kompilationen, meistens waren
es Best-of Alben, zu genehmigen. In McCartneys Fall fielen
Band On The Run oder der Bondsong Live And Let Die
der Zensur zum Opfer, während John Lennons Best of mit
demselben Tracklisting wie im Westen erschien. Und dann kam
1985 Michail Gorbatschow an die Macht. Er begann die Sowjetunion
zu reformieren. Perestrojka und Glasnost waren seine Schlagworte.
Gorbi erzählt in der selben Doku: «Die Musik der
Beatles brachte die Leute dazu, daran zu glauben, dass es
anderswo Freiheit gab. Und dies unterstütze Perestrojka.»
1988 veröffentlichte McCartney exklusiv in der Sowjetunion
das Album Choba B CCCP (Back In The USSR) mit 13 Rockstandards.
Schnell wurde das Album im Westen ein gefragter Bootleg. Am26.
Januar 1989 beantwortete McCartney im Londoner Studio des
russischen Radiodienstes telefonische Fragen von Sowjetbürgern.
Vor ihm war bloss Premierministerin Margret Thatcher interviewt
worden. McCartney erhielt dreimal so viele Anrufe wie die
eiserne Lady.
Die DVD
In Red Square hat ihren Emmy verdient, denn es ist
Regisseur Mark Häfeli gelungen, alle Seiten objektiv
zu Wort kommen zu lassen. Russen erzählen, wie es damals
gewesen war und McCartney erzählt seine Sicht der Dinge.
Dadurch wird die teils fast penetrante Beweihräucherung
Maccas wieder neutralisiert. Im Zweiten Teil ist In Red
Square eine Dokumentation über McCartneys Konzert
im Herbst 2003 auf dem roten Platz. Es war Sir Pauls erster
Besuch in Russland und er wurde wie ein Gott empfangen. Er
wurde von Michail Gorbatschow empfangen und Präsident
Putin gab ihm eine Audienz und führte ihn durch den Kreml.
Am Abend spielte McCartney vor über 100 000 Personen
auf dem roten Platz, der Film fängt die emotionalsten
Momente ein. Es war gewiss ein spezieller Moment, Back
In The USSR vor Lenins Mausoleum zu spielen, mit dem ehemaligen
KGB Agenten und heutigen Staatschef Vladimir Putin im Publikum.
Als Encore stimmte McCartney den Song ein zweites Mal an,
was die Menge extatisch feierte.
Neben der Dokumentation über McCartneys Moskauer Konzert
ist rund ein Drittel des St. Petersburger Konzertes zu sehen,
darunter Ive Got A Feeling und Helter Skelter,
die McCartney bloss auf seiner letztjährigen 04 Summer
Tour gespielt hatte. Das Tracklisting der DVD entspricht
grösstenteils seinem letztjährigen Konzertes in
Zürich und man kann sich nun zuhause anschauen, wie es
wohl gewesen wäre, wenn es nicht dermassen geregnet hätte.
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Tracklisting:
In
Red Square: 2003:
Getting Better
Band On The Run
Can't Buy Me Love
Two Of Us
I Saw Her Standing There
We Can Work It Out
I've Just Seen A Face
Live And Let Die
Let' Em In
Fool On The Hill
Things We Said Today
Birthday
Maybe I'm Amazed
Back In The USSR
Calico Skies
Hey Jude
She's Leaving Home
Yesterday
Let It Be
Back In The USSR Reprise
04
Summer in St. Petersburg:
Intro
Jet
Got To Get You Into My Life
Flaming Pie
Let Me Roll It
Drive My Car
Penny Lane
Get Back
Back In The USSR
I've Got A Feeling
Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band/The End
Helter Skelter
Special
Features
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Das
Paul McCartney Dossier enthält bisher folgende Artikel:
Sanft remixed (2005,
Twin Freaks: Twin Freaks)
Here
Today (2004, Konzertbericht vom Konzert im Letzigrund Zürich
vom 2. Juni)
Für
alle Kinder dieser Welt (2004, The Music & Animation
Collection)
Abgespeckt
(2003, Beatles: Let It Be Naked)
Zurück
aus der neuen Welt (2003, Back In The World bzw. USA CDs,
DVD)
Nur ein kleines
Detail (2003, zur Umstellung von Lennon/McCartney auf McCartney/Lennon)
Maccas
Freiheit (2001, Driving Rain)
Liverpool
Soundcollage (2000, Liverpool Soundcollage)
Lauf Teufel
Lauf (1999, Run Devil Run und Working Classical)
The Firemen
Rushes In (1998, Firemen: Rushes)
Die Welt
heut Nacht (1997, Flaming Pie)
Nekrophile
Sounds (1995, u.a. Beatles Anthology 1)
Thrillington's
Trance Beat (1995: ReIssue Thrillington, 1993: Firemen:
Strawberries Ocean Ship Forrest)
Flying
Around (1993, Off The Ground)
Unplugged
(1992, Unplugged The Official Bootlegg vs Eric Claptons Unplugged)
... und in Kürze in Musicus:
Alles über das neue Studioalbum, welches seit Sommer 2003
in Produktion und mit dem Macca ab Oktober auf US Tour ist. |
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